Reisegeschichten

Wie man sich ein Erfolgserlebnis verschaffen kann

Es geschah in Limerick, Irland. Meine Frau und ich nahmen an einem Englisch-Sprachkurs teil. Englisch braucht man immer, auch im höheren Alter. Erwartungsgemäß waren wir die ältesten Teilnehmer. Ansonsten ein paar Personen mittleren Alters, überwiegend aber junge Mädchen aus Spanien, Italien und vielen anderen Ländern. Das war mir prinzipiell nicht unangenehm, verglichen zum Beispiel mit einem Seniorenkurs an der Volkshochschule.

Anfangs saß eine kleine Japanerin neben mir, die nach ein paar Tagen den Wunsch äußerte, einen deutschen Satz zu lernen. Ich überlegte kurz und sprach ihr dann folgenden Satz vor: „Wolf, ich finde dich toll“. Andächtig wiederholte sie ihn und schrieb ihn auch auf.

Am nächsten Morgen wurde ich von meiner kleinen Japanerin nett begrüßt: „Wolf, ich finde dich toll“. Das hat mir gut gefallen. Noch besser wurde es, als auch die hübschen spanischen Mädchen den Satz lernen wollten. Das hatte nun zur Folge, dass ich jeden Tag vielstimmig mit diesem Satz begrüßt wurde.

Ich habe nicht herausgefunden, zu welchem Zeitpunkt der Inhalt des Satzes klar geworden war. Aber eigentlich war mir das auch egal. Es zeigte mir nur, dass man sich auch mit wenig Aufwand ein kleines Erfolgserlebnis verschaffen kann.

 

Der Reisepass war weg

Auf der Rückreise von einer Galapagos-Kreuzfahrt übernachtete unsere Reisegruppe noch einmal in der Hauptstadt Quito. Am nächsten Morgen wollte die Reiseleiterin während der Busfahrt zum Flughafen die Reisepässe einsammeln. Ich suchte und suchte, meiner war nicht zu finden, wahrscheinlich gestohlen. Während die Gruppe für den Flug eincheckte, diskutierte die Reiseleiterin mit Uniformierten. Sie teilte mir das Ergebnis mit: ohne Reisepass kein Rückflug, ich müsste in Quito bleiben und bei der deutschen Botschaft einen neuen Pass besorgen. Dann drückte sie mir noch einen Zettel mit einer Telefonnummer in die Hand und verabschiedete sich eilig. So stand ich etwas verloren da, ausgerüstet mit einer Fototasche, das Gepäck war bereits eingecheckt und entschwunden. Eine lebenserfahrene Dame aus der Reisegruppe hatte noch eine gute Idee: sie steckte mir einen 100 – Dollar – Schein zu. Meine Frau und mein Sohn schauten mich hinter der Absperrung etwas traurig an, sie konnten mir nicht mehr helfen. Nun  war ich also allein mit meinem Problem und überlegte, was zu tun sei. Es war Sonntag um die Mittagszeit, die Botschaft würde erst am nächsten Morgen geöffnet sein.

Ich nutzte die gewonnene Zeit  zu einem Bummel im historischen Stadtzentrum. Als ich mich bereits abseits der Touristenpfade bewegte, wurde mir plötzlich schwarz vor Augen. Schließlich befand ich mich in der höchst gelegenen Hauptstadt der Welt auf über  2.800  m ü. NN und war nicht akklimatisiert. Schlagartig war mir bewusst, wie gefährlich diese Situation für mich sein konnte. Ich malte mir aus, wie ich hilflos daliege, kein Mensch konnte  mich identifizieren, man würde mir meine 100 Dollar abnehmen, eine ziemlich schlimme Vorstellung. Diese Gedanken haben mir wohl geholfen, den Schwächeanfall zu überwinden. Ich ging zurück in das belebte Zentrum und ruhte mich in einem Park aus.

Nun musste ich mich erst einmal um die Übernachtung kümmern. Ein Glück, dass mir die Dame aus der Reisegruppe das Geld zugesteckt hatte, eine Übernachtung im Freien wäre wohl sehr gefährlich gewesen. Ich suchte das Hotel auf, wo wir die letzte Nacht verbracht hatten. Ich erinnerte mich an den jungen Mann an der Rezeption, der gut deutsch sprach. Er würde mir helfen können. Tatsächlich gab er mir sofort den Rat, bei der nahegelegenen Polizei-Wache eine sogenannte „Denunzia“, also ein Dokument, das mir den Verlust des Reisepasses bestätigte, zu besorgen. Ich bat ihn, mein Anliegen in Spanisch auf einen Zettel zu schreiben. So ausgestattet begab ich mich zur Polizei-Station, die auch am Sonntag geöffnet war. Ein Polizist las meinen Zettel und machte sich sogleich an die Arbeit. Auf einer historischen Schreibmaschine nahm er im Ein-Finger-Modus meine Daten auf. Er vertippte sich häufig und nahm jedes Mal sorgfältige Korrekturen mit einem Stift zum Löschen vor. Es dauerte eine Ewigkeit. Bevor er aber fertig war, schaute er plötzlich auf seine Uhr und verschwand ohne ein Wort hinter einer Tür.

Ich wartete eine ganze Weile und beschloss dann, meinen Polizisten zu suchen. Die Tür, die er benutzt hatte, führte auf einen Hof. Dort war die gesamte Besatzung der Wache in Reih und Glied angetreten, ich erkannte auch meinen Bearbeiter. Ein Offizier gab ein  Kommando, und plötzlich marschierten alle zum Tor hinaus, sie hatten offenbar Feierabend. Da mein Anliegen noch nicht abgeschlossen war, hielt ich nun dem Offizier meinen Zettel unter die Nase. Er erbarmte sich meiner, und nach einer weiteren halben Stunde hatte ich mein ersehntes Dokument in der Hand.

Am nächsten Morgen machte ich mich auf den Weg zur deutschen Botschaft. Ich hatte mir ausgerechnet, dass ich das Flugzeug um 10.30 Uhr erreichen könnte, wenn alles gut läuft.

Die Botschaft sollte planmäßig um 8.00 Uhr öffnen, aber erst eine halbe Stunde später fand ich einen Beamten, der mir meinen provisorischen Reisepass ausstellen wollte. Ich scheiterte aber bereits bei der ersten Frage nach einem Passfoto, das ich nicht besaß.

Er erklärte mir, dass es in unmittelbarer Umgebung mehrere Fotografen geben würde. Und nun begann der Wettlauf mit der Zeit. Es stellte sich nämlich sehr bald heraus, dass die Fotografen wohl nicht vor 9.00 Uhr öffnen würden. Ich fand aber einen, der zumindest  10 Minuten vor 9.00 Uhr bereit war, ein Foto von mir zu machen, allerdings nicht im genau vorgeschriebenen Format von einer bestimmten Zahl von  Millimetern Kantenlänge. Auch der nächste Fotograf beherrschte die geforderte Größe nicht. Ich resignierte und ließ mich im falschen Format fotografieren. Dann musste ich wieder eine Weile warten, weil der Fotograf plötzlich sein Geschäft verließ, um sich ein Frühstück zu holen. Der Mitarbeiter der Botschaft akzeptierte dann aber mein Foto und ich hielt meinen Ersatzpass in der Hand. Noch konnte ich meinen Flieger erreichen, rechnete ich mir aus. Es gab jedoch  eine weitere Hürde. Mir wurde nämlich eröffnet, dass ich noch einen Stempel der Migrationsbehörde im Pass brauchte. Die Behörde befand sich am anderen Ende der Stadt, allerdings in unmittelbarer Nähe des Flughafens. So ein Stempel kann ja wohl nicht lange dauern, dachte ich. Ich nahm ein Taxi und ließ den Fahrer vor der Migrationsbehörde warten.

Der ersten Mitarbeiterin, die für mich den Anschein von Zuständigkeit erweckte, hielt ich meinen Pass unter die Nase und bedeutete mit einer Handbewegung, dass ich nur schnell einen Stempel benötigen würde. Sie schien mich zu verstehen, denn sie schickte mich eine Etage tiefer, da ich dort etwas zu bezahlen hätte. Dort erhielt ich mehrere Formulare zum Ausfüllen, leider nur in Spanisch. Ich kämpfte mich durch die zahllosen Fragen, die ich oft nur erraten konnte und bezahlte dann ein paar Dollar. Wieder eine Etage höher hielt ich der mir schon bekannten Mitarbeiterin triumphierend meine Quittung unter die Nase und forderte energisch meinen Stempel. Überraschenderweise forderte sie aber nun 2 Kopien der Dokumente von mir. Ja und wo finde ich hier den Kopierer? Sie zuckte die Achseln und deutete vage nach draußen. Ich ging vor die Tür und fragte meinen Fahrer, der immer noch geduldig auf mich wartete. Er schien eine Lösung zu kennen und ließ mich in das Taxi einsteigen. Nach 200 m ließ er mich an einem kleinen Lebensmittel-Laden aussteigen, wo tatsächlich ein Kopierer stand. Auch diese Hürde war genommen. Wieder zurück zeigte ich meiner Dame die Kopien und war nun sicher, den Stempel zu bekommen. Sie dagegen sah mich mit einer gewissen heiteren Gelassenheit  an und verkündete mir, dass ich den Stempel heute nicht mehr bekommen würde, ich solle mich morgen wieder melden. Das war zu viel für mich. Ich bekam einen leichten Tobsuchtsanfall, jedenfalls schimpfte ich ziemlich laut. Es war mir in diesem Moment ziemlich egal, ob mich jemand verstehen würde oder nicht. Immerhin versuchte man, mich zu beruhigen. Eine Dame führte mich in das obere Stockwerk, öffnete eine Tür und schob mich sanft hinein. Ich sah einen mächtigen Schreibtisch, hinter dem lässig ein Mann in sehr auffälliger Uniform saß und eine Zigarette rauchte. Mit einer Handbewegung forderte er mich auf Platz zu nehmen. Wild gestikulierend versuchte ich ihm deutlich zu machen, dass ich nur diesen verdammten Stempel haben wollte und zwar sofort, weil mein Flugzeug in einer halben Stunde abheben würde, was ich mit eindrucksvollen Armbewegungen untermalte. Die Reaktion des Offiziers werde ich mein Leben lang nicht vergessen. Er schaute mich ruhig und mit einem spöttischen Lächeln an. Dann fragte er nur: „Aleman?“ Als ich eifrig nickte, war er offenbar mit seiner Lebenserfahrung sehr zufrieden. Er wiederholte noch einmal still „Aleman!“, wiegte leicht den Kopf hin und her und lächelte still vor sich hin. Ich hatte ihm bestätigt, dass nur ein Deutscher auf die Idee kommen konnte, dass er mal schnell einen Stempel bekommen würde, um sich in einer halben Stunde in den Flieger zu setzen. Immerhin bekam ich von ihm den Stempel, was mir allerdings für diesen Tag nichts mehr nützte, da ich alsbald meine Maschine am Fenster vorbeifliegen sah.

Nun war also klar, dass ich noch eine Nacht in Quito zubringen würde und mich im Übrigen bei der Fluggesellschaft KLM um ein Flugticket bemühen musste. Also ließ ich mich von meinem Taxifahrer, der geduldig auf mich gewartet hatte, zum Hotel fahren, um eine weitere Nacht zu buchen. Dabei wäre beinahe der Super-Gau passiert. Als ich nämlich gerade die Tür des Taxis zuschlagen wollte, warf ich zufällig noch einen Blick in das Innere und sah plötzlich meine Geldbörse vor dem Beifahrersitz liegen. Ich konnte sie gerade noch schnappen, da gab der Fahrer schon Gas und war verschwunden. Nicht auszudenken, wenn ich die Geldbörse nicht gesehen hätte. Mein Reisepass wäre erneut verloren gegangen und ich hätte keinen Pfennig Geld mehr gehabt. Was hätte die Botschaft dazu gesagt, wenn ich am gleichen Tag erneut einen Pass beantragt hätte? Bei diesem Gedanken bekam ich weiche Knie und musste mich erst einmal setzen.

Im Hotel beschloss ich, den Reisepass im Safe zu deponieren, um kein weiteres Risiko einzugehen. Dann machte ich mich auf die Suche nach dem Büro von KLM. Es sollte sich in einem Hochhaus befinden. In der betreffenden Straße fehlte leider genau die Hausnummer, die man mir angegeben hatte.

Alles schien sich gegen mich verschworen zu haben. Ein englischsprechender Kellner erklärte mir, dass ich mich vermutlich bereits vor dem richtigen Gebäude befunden habe. Beim zweiten Versuch sah ich, dass die mir genannte Hausnummer nicht am Haus angebracht war (dort stand eine andere), sondern in den Türvorleger eingewebt war. Erleichtert betrat ich das Foyer und fragte nach dem Büro von KLM. Tatsächlich sollte es in der 8. Etage sein. Man verlangte aber zunächst meinen Reisepass . Den hatte ich ja vorsorglich im Hotel deponiert, ein Fehler, wie sich nun herausstellte. Das bedeutete, erneut durch die ganze Stadt zum Hotel fahren und wieder zurück. Ich versuchte noch einmal die Nummer mit dem leichten Tobsuchtsanfall. Es funktionierte. Ein Polizist mit MP im Anschlag begleitete mich zum Büro von KLM und wartete dort, bis ich mein Anliegen vorgetragen hatte. Die Auskunft  der Fluggesellschaft war allerdings deprimierend: Die Maschine nach Deutschland war am Dienstag bereits ausgebucht. Als die Dame am Schalter sah, dass ich in tiefe Depression verfallen war, machte sie mir noch ein wenig Hoffnung. Ich könnte es am Nachmittag noch einmal versuchen, falls jemand zurück treten würde.

Von nun an sollte es keine Rückschläge mehr geben. Am Nachmittag erhielt ich ein Flugticket und so konnte ich am nächsten Vormittag die Rückreise antreten. In Berlin-Tegel angekommen rief ich meine Frau an und bat, mich mit dem Auto vom Flughafen abzuholen. Mein Äußeres hatte in den 3 Tagen so gelitten, dass ich mich unmöglich in ein öffentliches Verkehrsmittel setzen konnte. Man muss sich vorstellen, dass ich mich 3 Tage nicht rasieren konnte, ich hatte einen ziemlich schlimmen Lippen-Herpes unter der Sonne des Äquators bekommen, und schließlich hatte sich meine rechte Sandale weitgehend aufgelöst und war notdürftig mit Bindfaden zusammen gehalten.

Immerhin habe ich durch dieses Erlebnis einiges gelernt. Ich habe auf Reisen nun immer 2 Passfotos dabei, außerdem Kopien des Reispasses und eine Notration Geld.