Wie man sich ein Erfolgserlebnis verschaffen kann

Es geschah in Limerick, Irland. Meine Frau und ich nahmen an einem Englisch-Sprachkurs teil. Englisch braucht man immer, auch im höheren Alter. Erwartungsgemäß waren wir die ältesten Teilnehmer. Ansonsten ein paar Personen mittleren Alters, überwiegend aber junge Mädchen aus Spanien, Italien und vielen anderen Ländern. Das war mir prinzipiell nicht unangenehm, verglichen zum Beispiel mit einem Seniorenkurs an der Volkshochschule.

Anfangs saß eine kleine Japanerin neben mir, die nach ein paar Tagen den Wunsch äußerte, einen deutschen Satz zu lernen. Ich überlegte kurz und sprach ihr dann folgenden Satz vor: „Wolf, ich finde dich toll“. Andächtig wiederholte sie ihn und schrieb ihn auch auf.

Am nächsten Morgen wurde ich von meiner kleinen Japanerin nett begrüßt: „Wolf, ich finde dich toll“. Das hat mir gut gefallen. Noch besser wurde es, als auch die hübschen spanischen Mädchen den Satz lernen wollten. Das hatte nun zur Folge, dass ich jeden Tag vielstimmig mit diesem Satz begrüßt wurde.

Ich habe nicht herausgefunden, zu welchem Zeitpunkt der Inhalt des Satzes klar geworden war. Aber eigentlich war mir das auch egal. Es zeigte mir nur, dass man sich auch mit wenig Aufwand ein kleines Erfolgserlebnis verschaffen kann.

 

Die große Wellness-Lüge

Auf einer Österreichreise haben wir auch in Bad Blumau Station gemacht. Uns hatte das vom Architekten Hundertwasser entworfene Wellness-Ressort interessiert, das typischerweise in die Landschaft hinein komponiert ist. Am Eingang zur Therme las ich das Schild: „Finde Dich“.

Das habe ich schon oft in Werbebroschüren von Wellness – Hotels gelesen: Bei uns finden Sie zu sich selbst, hier finden Sie Ihr eigenes Ich. Welch unverschämte Lüge! Warum sollte ich gerade in diesem bestimmten Hotel mein eigenes Ich finden? Voraussetzung ist ja wohl zunächst, dass ich mein Ich irgendwo und irgendwann verloren habe. Wie kann so etwas passieren? Woran merke ich es überhaupt?

Warum passen die Menschen auf ihr Ich nicht besser auf? Fragen über Fragen. Regenschirme vergisst  man oft in der S-Bahn oder in der Gaststätte. Ist es nicht logisch, dass man sein eigenes Ich auch dort liegen lässt? Wenn mir so etwas passieren würde, ginge ich doch zunächst einmal zum Fundbüro. Vielleicht ist ja mein Ich dort abgegeben worden. Ich habe mal einen Test gemacht und habe im Fundbüro nachgefragt, ob mein Ich dort abgegeben worden sei. Die Dame schaute mich sehr verständnislos an. Ist denn überhaupt schon einmal ein Ich bei Ihnen abgegeben worden, bohrte ich weiter. Nein, noch nie, wir haben auch gar keine Lagerkapazitäten. Das ist ja lachhaft, ein Ich ist schließlich keine Person, es ist quasi ein Nichts, ein Hauch. Da bekommen Sie 1000 in einen Schuhkarton, argumentiere ich. Wie ist das aber eigentlich wenn ich das Ich von einer anderen Person finden würde? Das wäre ja nicht mein eigenes Ich. Es wäre also nicht ein Ich sondern ein Du oder ein Er. Das ist schon etwas philosophisch, aber man kann wahrscheinlich sein Ich nur selbst finden.  Vermutlich gehen die Leute deshalb auch nicht zum Fundbüro sondern  glauben dieser albernen Werbung und suchen in einem Wellness-Hotels. Mein eigenes Ich, da bin ich ganz sicher, würde nie und nimmer in ein Wellness-Hotel gehen und dort auf mich warten. Solche Einrichtungen sind für mich viel zu langweilig, ich habe dort noch keine Stunde meines Lebens verbracht. Warum sollte mein verloren gegangenes Ich auf die Idee kommen, dorthin zu gehen. Viel wahrscheinlicher ist es, dass es auf einem Alpengipfel auf mich wartet, also nicht auf einem der ganz hohen, aber so, dass man noch gut hinkommt. Dort würde ich also mein Ich suchen. Aber das ist bei den vielen möglichen Bergen eben auch ein Problem. Ich denke einfach, dass man sein Ich überhaupt nicht mehr finden kann, wenn es einmal abhanden gekommen ist. Die größte Chance sehe ich in der S-Bahn. Deshalb plädiere ich dafür, nicht in einem Welness-Hotel nach seinem Ich zu suchen, sondern sich eine Jahreskarte der Verkehrsbetriebe zu kaufen. Wenn es der Zufall will, findet man dort ja doch noch zu sich selbst

 

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